Ein Wahrzeichen wird 70 Jahre alt
Wie der Mellendorfer Fernmeldeturm Fernsehgeschichte schrieb.
Biegt man kurz hinter Wiechendorf rechts ab und fährt auf der schnurgeraden Hermann-Löns-Straße bis zur Friedrichshöhe, bemerkt man die 31 Meter Höhenunterschied kaum. Tatsächlich liegt der Wittrebenberg aber ganze 91 Meter über dem Meeresspiegel und ist damit nur einen Meter kleiner als die höchste Erhebung der Wedemark, der Brelinger Berg. Gute Voraussetzungen also, um hier oben einen Fernmeldeturm zu errichten.
Die Wedemärker waren schon immer stolz auf ihren Turm, weshalb er nicht nur bereits in den 50er Jahren als beliebtes Motiv auf Postkarten gedruckt wurde, sondern auch die Titelseite der allerersten Ausgabe des Wedemark-Echo vom 3. September 1965 zierte. Im Jahr 2022 steht der graue Riese seit nunmehr 70 Jahren an Ort und Stelle. Trotzdem ist nicht viel über ihn bekannt, selbst eine Internetrecherche bringt keine weiteren Erkenntnisse. Neugierige Spaziergänger werden enttäuscht, wenn sie sich dem Turm nähern, um vielleicht etwas mehr über seine Geschichte und seine Funktion zu erfahren: vor dem umzäunten Gelände mit seinem fest verschlossenen Tor ist Schluss, ein Schild mit der Aufschrift „Eine Besichtigung ist leider nicht möglich“ nimmt die letzte Hoffnung. Nicht so jedoch an diesem grauen und kalten Dezembertag: Da ist er, der Mann mit dem Schlüssel.
Peter Quednau ist noch nicht ganz so alt wie sein Turm, arbeitet aber immerhin seit 46 Jahren bei der Telekom (früher die Deutsche Bundespost), zuletzt seit 2005 bei der Tochterfirma Deutsche Funkturm GmbH als Manager für Großstandorte. Angefangen hat er als Fernmeldehandwerker bei der Post und trägt heute Verantwortung für insgesamt 34 Türme in Niedersachsen und Teilen von Nordrhein-Westfalen, unter anderem auch für den Telemax in Hannover. Durch das geöffnete Tor begleite ich ihn vorbei an Pferdekoppeln bis zum Eingang des hohen Gebäudes.
Im unteren Eingangsbereich des Funkturms liegt eine Liste aus, in die sich Besucher zunächst eintragen müssen. „Aus Brandschutzgründen, damit die Feuerwehr weiß, wie viele Menschen sie im Falle eines Brandes retten muss. Man darf nur nicht vergessen, sich auch wieder auszutragen… Manchmal könnte man denken, hier sitzen seit Monaten zehn Leute fest“, erklärt der Herr im besten Alter trocken und schmunzelt. Drei Zeichnungen des Turms von den Erstklässlerinnen Sabine, Claudia und Sophia aus dem Jahr 1989 hängen gerahmt an der Wand, eine breite offene Tür gibt den Blick auf den Fahrstuhl frei. Dieser ist so klein, dass kein Corona-Abstand eingehalten werden kann, sodass jeder allein die Fahrt nach oben antreten muss. Beruhigenderweise stammt der Aufzug laut Inschrift aus dem Jahr 1997 und ist nicht ganz so alt wie der Turm selbst, wenn auch der Schacht dafür bereits bei Baubeginn im Jahr 1951 vorgesehen war. Der erste Fahrstuhl wurde jedoch erst 1957 eingebaut.
Der Fernmeldeturm in Mellendorf ist ein Typenturm A aus Stahlbeton mit einem Schaftdurchmesser von 8 Metern. Er gehört somit zur ersten Generation Fernmeldetürme, die in der Nachkriegszeit errichtet wurden. Mit der Inbetriebnahme im Jahr 1952 war dieser Typ allerdings bereits veraltet und man baute nunmehr den Typ B, der an die steigenden technischen Anforderungen besser angepasst war und zudem weniger Baukosten verursachte. Nach der Fertigstellung war der Turm zunächst 40 m hoch, erst im Jahr 1957 wurde er um eine weitere Etage aufgestockt, sodass er eine Höhe von 45 m erreichte. Der Mellendorfer Turm ist einer der kleinsten seiner Art, vergleichbare Funktürme vom Typ A wie beispielsweise in Egestorf ragen mit 70 m deutlich weiter aus der Landschaft heraus. Nach etwa 8 Monaten Bauzeit konnte der Turm schließlich im Spätsommer 1952 fertiggestellt werden.
Bereits 1935 hatte die Reichspost damit begonnen, ein Fernsehkabelnetz zu bauen, um die geplanten 21 Sender mit dem Zentralstudio in Berlin zu verbinden. Ende des Jahres 1944 betrug die Gesamtlänge des Kabelnetzes bereits mehr als 2500 Kilometer, dies musste jedoch nach Kriegsende innerhalb der sowjetischen Besatzungszone und im süddeutschen Bereich bis München demontiert werden. Am 31. August 1948 beschlossen die britische Militärregierung und der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR), erneut einen Fernsehrundfunk in Deutschland aufzubauen. Die Bundespost entschied sich im April 1950 aus technischen und wirtschaftlichen Gründen für eine Richtfunkverbindung mit Dezimeter-Wellenlänge. Da diese Wellen sich geradlinig ausbreiten, musste zwischen den Funktürmen eine quasi-optische Sicht bestehen, die weder durch hohe Gebäude noch durch die Erdkrümmung selbst gestört werden durfte. Aus diesem Grund wurden entlang der Bundesstraße bzw. der Autobahn von Hamburg bis Köln im Abstand von 50 – 60 km Fernmeldetürme errichtet, auf deren Spitze Relaisstellen das Funksignal empfangen und wieder ausstrahlen konnten. Nördlich des Mellendorfer Turms steht auch heute noch der Funkturm in Wardböhmen (nahe Bergen), südwestlich befindet sich der nächste Turm auf dem Jakobsberg bei Minden.
Innerhalb von nur 2,5 Jahren gelang es, die Verbindung für den Fernsehfunk aufzubauen. An Weihnachten 1952 konnte die Bundespost dem NWDR die gesamte 452 km lange Richtfunkstrecke Köln-Hamburg für Fernsehübertragungen zur Verfügung stellen. Am 26. Dezember 1952, einen Tag nach dem offiziellen Programmstart, schaltete das Erste Deutsche Fernsehen zum ersten Mal ins Studio nach Hamburg zur Tagesschau. Um im Jahr 1954 die Übertragung der Fußballweltmeisterschaft aus der Schweiz als Eurovisionssendung ausstrahlen zu können, wurde die Verbindung in den folgenden zwei Jahren im Norden bis nach Dänemark und im Süden bis in die Schweiz weiter ausgebaut. All diese historischen Fernsehmomente wären ohne den Mellendorfer Fernmeldeturm nicht möglich gewesen.
Neben dem Fernsehrundfunk nutzte man den Turm auch zur Übertragung von Ferngesprächen und Radiosendern. Um all diese Funkverbindungen zu ermöglichen, wurden große Parabolspiegel auf dem Dach angebracht. Störungen waren nicht selten, da noch „per Hand“ zum Beispiel vom Studio in Köln nach Hamburg umgeschaltet wurde. Dies konnte bis zu einer Minute dauern, währenddessen der Bildschirm für die Fernsehzuschauer schwarz blieb. Trat dabei ein Problem auf, musste ein Mitarbeiter sofort reagieren, weshalb der Turm bis in die 80er Jahre hinein ständig besetzt war. Die damalige Technik ist aus heutiger Sicht als recht anfällig zu bezeichnen. Es waren kurze Energieleiterlängen nötig, weshalb der Betriebsraum direkt unter den Parabolspiegeln liegen musste. Die Geräte liefen oft heiß und mussten mit Klimaanlagen gekühlt werden. Eine große Batterie sorgte im Falle eines Stromausfalls für den konstanten Betrieb der Geräte.
Von diesen Relikten aus den Anfangsjahren der Fernsehtechnik ist heute nichts mehr zu sehen. Nach dem endgültigen Aus des analogen terrestrischen Fernsehens in Deutschland im Jahr 2009 wurden die letzten großen Parabolantennen abgebaut. Ein 15 m hoher Aufsatzmast, der dem Turm die stattlich Gesamthöhe von 60 m beschert hatte, wurde im Jahr 2015 aus statischen Gründen entfernt. Neben einem letzten Analogfunk der Feuerwehr wird das hohe Gebäude heute fast ausschließlich von Mobilfunkanbietern wie der Telekom, Vodafone und Telefonica als Basisstation für das Mobilfunknetz genutzt.
Tritt man oben aus dem Fahrstuhl heraus, erwarten einen fast leere Räume. Wo früher in Büroräumen Tische und Telefone standen, findet man heute lediglich kleine Radiatoren, die den Stahlbeton vor Frostschäden schützen sollen. Durch ein Fenster kann man auf die untere Plattform steigen, die von einem Geländer umgeben ist. Die Aussicht könnte fantastisch sein, von der optischen Verbindung zu den Nachbartürmen ist jedoch an diesem trüben Tag keine Spur, die Sicht beträgt nur wenige Kilometer.
Bis zum 2. Betriebsgeschoss ist der Turm per Treppe begehbar, hier blinken die kleinen Lämpchen der Mobilfunktechnik, die mit zahlreichen Kabeln miteinander verbunden ist. Weiter nach oben geht es jetzt nur noch über eine Leiter, für die allerdings eine Steigberechtigung benötigt wird. Peter Quednau hat diese Berechtigung natürlich, da er von Zeit zu Zeit auch im Außenbereich des Turms mit Seil und Steigeisen arbeiten muss. Diese Außeneinsätze sind aus Sicherheitsgründen zu zweit, teilweise sogar zu dritt durchzuführen. Einmal im Jahr findet dazu eine Übung statt, bei der mit einer lebensgroßen Puppe die Rettung durch Abseilen an der Außenwand des Turms geübt wird.
Und wie sieht die Zukunft des Wedemärker Wahrzeichens aus? „Wir haben schon Anfragen von potenziellen Käufern bekommen, die wollen hier tatsächlich einziehen und drin wohnen“ berichtet Peter Quednau und lacht dabei etwas ungläubig. Daraus wird jedoch in absehbarer Zukunft nichts werden. Der Mellendorfer Funkturm ist auch in Zukunft ein wichtiger Standort für die Deutsche Funkturm GmbH und wird vermutlich noch viele Jahre als große Mobilfunkantenne dienen. Alle 6 Jahre findet eine Standsicherheitsprüfung des Turmes statt, die bisher keine großen Mängel offenbart hat.
Den Rückweg treten wir zu Fuß über die 192 Treppenstufen an, es ist ja doch nur ein kleiner Turm. „Aber Licht ausschalten nicht vergessen, sonst brennt das wieder monatelang bis ich wiederkomme“, mahnt Herr Quednau. Da ist sie dann doch noch, die gute alte Technik.
Historische Postkarten
Auf Grußkarten aus der Wedemark wurde gerne der imposante Turm abgebildet.
Historische Aufnahmen